„Zeitenwende fordert Energiewende 3.0“ –
das 4. Omexom Technikforum zeichnete ein stürmisches Zukunftsbild unserer Energieversorgung
Energieversorger und Infrastrukturanbieter stünden vor goldenen Zeiten, wenn nur diese beiden Stolpersteine nicht wären: Fachkräftemangel und Materialengpässe. So lautete der Grundtenor des 4. Omexom Technikforums, das am 8. und 9. März in Darmstadt stattfand. Fazit: Der menschliche Faktor entscheidet!
Es geht ums Ganze
Wie sehnlich man darauf gewartet hatte, endlich wieder persönlich zusammenzukommen, bewies die schiere Zahl der Gäste: 400 Teilnehmer:innen – so viele wie nie – waren ins Darmstadtium Wissenschafts- und Kongresszentrum gereist, um mit den besten Köpfen der Branche über die Zukunft der Energieversorgung zu diskutieren.
„Forum macht Furore“, freute sich Omexom Geschäftsführer Uwe Winkler, als er die vierte Ausgabe des Formats eröffnete, die erstmals nach dreijähriger, Pandemie-bedingter Pause stattfinden konnte. Winkler machte auch gleich deutlich, worum es diesmal gehen sollte – ums Ganze nämlich: Zeitenwende bedeute, alles auf den Prüfstand zu stellen und die Energiewende komplett neu und anders anzugehen. Prof. Jutta Hanson (TU Darmstadt) und Prof. Stefan Tenbolen (Universität Stuttgart) übernahmen wie gewohnt die wissenschaftliche Leitung des Events und moderierten ein hoch spannendes Programm.
Wer hat Angst vor Faktor 5?
Die ganze Dramatik der „vollumfänglichen Zeitenwende“, wie sie Prof. Tenbolen in seiner Eingangsnotiz umriss, besteht in der schlichten Tatsache, dass unser Energiebedarf in den kommenden Jahrzehnten ums etwa Fünffache steigen wird. Was bedeutet das für die Übertragungsnetze? Andreas Lukaschik (Projektleiter InnoSys 2030) zufolge sollte zunächst über eine „Höhere Netzauslastung durch innovative Systemführung“ nachgedacht werden. Das bedeute mit innovativer Hardware, intelligenten Vorsorgemaßnahmen und höheren Automatisierungsgraden die Bestandsnetze besser auszulasten, ohne die Netzsicherheit zu gefährden.
Engpässe vermeiden, Volatilitäten beherrschen
Tim Meyerjürgens (Mitglied der Geschäftsführung TenneT) und Dr. Frank Golletz (Technischer Geschäftsführer 50Hertz) schlugen vor, Engpässe im Netz durch umfassenden Ausbau, Systemintegration und Digitalisierung sowie durch reaktionsfähigere Steuersysteme zu vermeiden und Volatilitäten in der Windeinspeisung besser zu beherrschen. Innovative Betriebsmittel, wie variable Drosselspulen, rotierende Phasenschiebern oder STATCOM-Anlagen, könnten dabei helfen, mehr Blindleistung bereitzustellen. Wilfried Breuer (Geschäftsführer Maschinenfabrik Rheinhausen) und Daniel Eichhoff (Leiter Stationen Amprion) gaben ihre Perspektiven als Hardware-Produzent bzw. Netzbetreiber wieder.
Elektrifizierung ist Vernetzung plus Elektrolyse
Laut Meyerjürgens liegt die Zukunft in der Vernetzung von Gleichstromverbindungen per Onshore-Hubs und einem hochflexiblen Offshore-Energienetzwerk. Die 2 Gigawatt Plattformen als Knotenpunkte bringen doppelte Leistung bei geringerem Ressourcenverbrauch. Die Vision: internationale AC/DC Hubs, verbunden mit küstennahen Elektrolysestandorten zur Speicherung von Überschüssen in Molekülform, abführbar über bestehende Erdgaspipelines.
An Wasserstoff scheiden sich noch die Geister
Apropos Elektrolyse: „Wasserstoff ist kein Heilsbringer“, dämpfte Prof. Dr. Norbert Menke (Sächsische Agentur für Strukturentwicklung) allzu hohe Erwartung. Wasserstoff als Energiespeicher für Strom und Wärme gewinne an Bedeutung beim Ausgleich des volatilen Angebots an erneuerbaren Energien. Potentiale für den Hochlauf einer Wasserstoff-Wirtschaft werden durch die Umnutzbarkeit vorhandener Erdgasnetze in Sachsen gesteigert. Alf Geßner (HH2E) präsentierte mit dem HH2E-Werk in Lubmin ein erstes Großprojekt zur Erzeugung von grünem Wasserstoff und zeigte sich enthusiastischer angesichts eines für 2050 prognostizierten weltweiten Bedarfs von 800 Millionen Tonnen.
Verteilnetze müssen intelligenter werden
Joachim Schneider (Technology Ambassador E.DSO) betonte, dass die Energiewende 3.0 zu einer nie dagewesenen Komplexität in den Verteilnetzen führen wird. Italien und Spanien haben digitale und dynamische Netzwerke geschaffen, die viele neue Klein- und Kleinstquellen integrieren können. Martin Breitenbach (Asset-Management und Planung NGN Netzgesellschaft Niederrhein) sprach von der Digitalisierung des Verteilnetzes, die auf digitalisierten Ortsnetzstationen basiert, um Echtzeit-Netzinformationen zu erhalten. Tammo Fleßner (Erzeugung – Asset Management Infrastruktur Alterric) betonte, dass Windparks mit „Störfallmodus-Funktionen“ und dezentralen Prognosedaten zur Unterstützung von Netzbetreibern beitragen können.
Mit Sicherheit zu viel mehr Leistung
Wie sich Energiewende 3.0 in Zukunft beim Endkunden bemerkbar macht – dieses Riesenthema konnte nur ansatzweise gestreift werden. „Die Energiewende ist in Hamburg angekommen“, notierte Thomas Volk (Geschäftsführer Stromnetz Hamburg). Doch die Herausforderungen ans „Energiewendenetz bis 2040“ bleiben enorm: Um die nötige Leistungsverdopplung im MS-/NS-Netz sicherzustellen, muss die Steuerung flexibler Lasten auf allen Netzebenen verbessert werden. Besonders die E-Mobilität profitiert von Steigerungen wie diesen. „Mega-Watt Laden“ gehört die Zukunft – unter diesem Titel beleuchtete Mathias Pflugbeil (Project Manager DACH Heliox) die „leistungsstarke Evolution in der Ladeinfrastruktur für Nutzfahrzeuge“ und umriss die rasanten Entwicklungen bei Schnelladelösungen für E-Busse, E-Lkw, E-Pkw, Schiffe, Häfen und Bergbaumaschinen.
„Ingenieure, Ingenieure, Ingenieure!“
Dr. Martin Konermann (Geschäftsführung Netze BW) prognostizierte 38 Millionen E-Fahrzeuge und 16 Millionen Wärmepumpen bis 2050 und betonte den Fachkräftemangel bei der Energiewende. Lars Krause (Vertrieb Hitachi Energy Germany) wies auf die internationalen Dimensionen des Personalbedarfs hin. „Ingenieure, Ingenieure Ingenieure“ würden gebraucht und eine internationale Projekt-Zusammenarbeit sei nötig, um zukünftige Netzinvestitionen zu stemmen.
Frank Westphal (Vorsitzender der Geschäftsführung der VINCI Energies Deutschland und CEO der Omexom Deutschland) unterstrich angesichts eines absehbaren „Genehmigungs-Tsunamis“ in seinem Abschlussstatement noch einmal die Rolle aller Beschäftigten unserer Branche: „Die Energiewende wird für die Menschen umgesetzt und sie wird nur durch Menschen realisiert werden können. Diesen Fachkräften – egal ob Monteur oder Ingenieur – wo auch immer im Netz sie aktiv mitarbeiten, gehört unsere Wertschätzung und unser Dank. Sie gestalten unsere Zukunft.“